SZ Artikel

Freitag, 12. August 2011 – S.33

Serie „Münchner im Exil“

Ohne Ramsch durchs Leben

Birgit Medele arbeitet in London als Expertin im Ausmisten

Dinge können gemein sein. Grausam zuweilen. Auf jeden Fall unwirtlich. Denn diese Dinge wollen permanent etwas. Das Buch etwa auf dem Nachtkästchen, das gelesen werden will; warum sonst wurde
es auch gekauft? Schon ist es da, das schlechte Gewissen – und vorbei der gemütliche Abend vor dem Fernseher. Sagt zumindest Birgit Medele – und sie ist vom Fach. Sie ist Expertin im Ausmisten. 15 000 Dinge besitzt jeder Mensch im Schnitt, sagt sie – die meisten davon bleiben unbenutzt. „Dieser Kram beschwert uns, im wahrsten Sinne des Wortes. Schränke voll, Schreibtisch voller – Kopf am vollsten?“ Die ehemalige Münchnerin hat in London die Organisation „Clear of Clutter“ gegründet und hilft seit nunmehr fünf Jahren Menschen, all jene Dinge, Gedanken oder Emotionen loszulassen, die zu Ballast geworden sind.

Schon zu ihrer Studienzeit in München sorgte Birgit Medele für Ordnung. In ihrer Wohngemeinschaft in Haidhausen achtete sie darauf, dass der Putzplan eingehalten wurde, dass jeder seine Miete zahlte – „damals habe ich das nicht als Talent aufgefasst“, sagt sie. Nach dem Studium arbeitete sie in München als Journalistin, zog 1999 nach
London, wo sie noch heute mit ihrem Mann und drei Kindern lebt. In England wurde sie gleich mit den Klischees konfrontiert: deutsche Gründlichkeit – „aber ich wollte nicht typisch deutsch sein“.

Erst bei ihrem Kunststudium erkannte sie ihr Organisationstalent: „Sonst hätte ich nichts auf die Reihe bekommen.“ Gleichzeitig bemerkte sie bei ihren Kommilitonen, dass denen diese Begabung komplett abging, dass viele diese Gabe gerne hätten. Und so wurde aus einer Berufung ein Beruf – von dem man übrigens in England gut leben kann, auch wenn dieses Arbeitsfeld in Deutschland weitgehend unbekannt ist.

Birgit Medele gibt Kurse, wie man es dauerhaft schafft, Ordnung zu halten. Sie geht aber auch in die Wohnungen ihrer Klienten. In jedem ganz normalen Haushalt gibt es viel Ueberflüssiges. „Je mehr Sachen rumliegen“, erklärt Birgit Medele, „umso träger wird die Stimmung“ – und das müssen die Menschen erst erkennen.
Einer ihrer Ansätze: „Wenn das Leben voll ist mit altem Zeug, ist kein Platz für Neues – in allen Bereichen.“ Das größte Problem sei das Papier, sagt sie – für Menschen dienen Ausdrucke als Information, als Absicherung, auch als Erinnerung, aber: „Papier ist zu 80 Prozent veraltert“, sagt Medele. Also weg damit – aber was entsorgt wird, muss jeder selbst bestimmen. „Ich treffe keine Entscheidungen“, sagt die 40-Jährige.

Organisation ist praktisch angewandte Persönlichkeitsentwicklung, ein Weg zu mehr Energie, Klarheit und Lebensfreude“, schreibt sie im Vorwort ihres im Mai erschienenen Buches „Leben statt Kleben: Loslassen, Ballast abwerfen und die Leichtigkeit des Seins wiederentdecken“. Glaubt man Birgit Medele, kann man
beim Ausmisten sehr viel fürs Leben lernen: Entscheidungen treffen,
Verantwortung übernehmen, loslassen. http://goo.gl/QcGgQ


Sie selbst hat diese Erfahrung mit ihrer Plattensammlung gemacht. Mehr als 400 Platten hatte sie in München, ständig war sie auf der Suche nach Geheimtipps und angesagten Künstlern. „Ich nannte mich DJane, obwohl ich nur einmal im Jahr im Baader-Café aufgelegt
habe“, erinnert sie sich. In London brauchte sie das nicht mehr. „Ich musste nicht mehr DJane sein, um als cool zu gelten“, sagt sie. Jetzt hat sie nur noch 20 Platten, „die ich wirklich anhöre“.

Michael Bremmer

Mehr info bei: www.clearofclutter.com

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